Warum feiern wir nochmal Weihnachten?

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Enkeltochter Mia bastelt schon seit Wochen. Sie schreibt und malt und faltet und klebt. Eifrig, versunken, beglückt. Dabei stellt sie sich vor, wie sich die Beschenkten über all das freuen werden, was sie da zaubert. Manchmal sogar mit Kribbeln im Bauch. Mia schenkt von Herzen gern. Übrigens nicht bloß an Weihnachten. Eigentlich immer. Wünsche hat sie natürlich auch. Ende Oktober hält sie mir einen Weihnachtswunschzettel unter die Nase, auf dem sie – feinsäuberlich – diverse Dinge aufzählt, die sie in einem Spielzeugladen-Werbeprospekt entdeckt hat. Beim Überfliegen finde ich zwar kaum Rechtschreibfehler, dafür aber auch nichts, worunter ich mir irgendetwas vorstellen könnte. Sie betrachtet mein Gesicht, während ich lese. „Is ne Menge Zeugs, gell?“, erkundigt sie sich, mit einem Unterton in der Stimme, der versucht meinen stirngerunzelten Gesichtsausdruck zu deuten. „Hmhm“, nicke ich und entdecke beim weiteren Studium der Liste zwei Kuscheltiere mit unaussprechlichem Namen. „Aber Kuscheltiere hast du doch wirklich genug, Schatz“, stelle ich fest. „Stimmt, Omi“, antwortet sie nicht verlegen, „deshalb verschenke ich ja auch wieder welche!“ Klingt nach einem durchdachten Plan und ich sag’ erstmal nix mehr.

Ein paar Wochen später beschäftigen sie Nachrichtenmeldungen, die durch die Medien geistern. „Sag mal Omi“, fragt sie, „Warum gibt es überhaupt Krieg?“ „Weil es immer Menschen gibt, die mehr haben wollen, als sie tatsächlich brauchen. Oder weil sie an etwas anderes glauben, oder weil sie bestimmen wollen, oder …“ , mir wären noch mehr schlechte Gründe eingefallen. Mia legt den Kopf schief und kaut gedankenverloren Pfannkuchen mit Apfelmus. „Bloß deshalb?“ Ich nicke. Obwohl ich weiß, dass die Hintergründe weitaus komplizierter sind. Sie erspart mir für’s Erste weitere Fragen. Zum Beispiel: „Warum reden die nicht miteinander, anstatt sich wehzutun?“ Das sollen Kinder schließlich auch machen, wenn in der Schule was schräg läuft. Erwachsene nennen das dann Gewaltprävention. In Gedanken spiele ich dennoch mögliche Antworten durch. „Nicht alle sprechen die gleiche Sprache…“ Dumme Antwort. Darauf würde Mia erwidern: „Google kann übersetzen!“ Ihr mit einfachen Worten die wahren Hintergründe der Komplexität der Gier und des Starrsinns mancher Erwachsener zu erklären, überschreitet die Vorstellungskraft meines Großmuttergehirns. Und außerdem: Sie hakt nicht nach.

Neulich backen wir Plätzchen. Draußen fällt zum ersten Mal Schnee in diesem Jahr. Drinnen haben wir’s warm und gemütlich. Mia gibt alles. Sie knetet und walzt und wischt sich mit mehligen Fingern eine Haarsträhne aus der Stirn. „Weißt du Omi“, plaudert sie dabei munter vor sich hin, „Eigentlich brauchen wir doch gar nicht viel. Guck mal, wir ham uns und wir können Plätzchen backen und draußen schneit es…“. Ich lache. „Wenn alle so denken könnten, sähe die Welt anders aus!“ Da wird sie auf einmal ernst und schaut mich mit großen Augen an: „Warum feiern wir nochmal Weihnachten?“ “Naja”, antworte ich, “eigentlich soll es das Fest der Liebe sein…” Währenddessen steche ich Herzformen aus dem ausgewalzten Plätzchenteig. “Und wir erinnern uns dabei an ein Kind namens Jesus, das vor langer, langer Zeit in einem Stall bei Betlehem geboren wurde…”. “Mutter Maria, Vater Josef,” bestätigt sie wissend und wendet sich wieder dem Bepinseln der Butterplätzchen zu. “Weißt du Omi, eigentlich kannst du meinen Wunschzettel vergessen.” “Ach was?”, frage ich nach. “Bist du dir sicher?” “Ja!”, antwortet sie und nickt bestätigend mit dem Kopf. “Weil ich mir nämlich am allerallermeisten wünsche, dass wir uns einfach alle liebhaben. Und das es keinen Krieg mehr gibt.”

Friedliche Weihnachten.

 

 

 

 

 

 

 

4 Kommentare

  1. Liebe Gabi, das ist so, so, so schön! Kinder sind doch einfach wunderbar und dabei total klar! Du hast eine tolle Enkelin mit einer wunderschönen Seele. Liebste Weihnachtsgrüße und bis hoffentlich nächstes Jahr <3

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