Jeder ist mal angekommen…

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Ernst Sambaß

Vorhin, beim Spaziergang mit Ben, dem Hund, bin ich diesem Herrn begegnet. Nicht zum ersten Mal, denn wir leben im gleichen Dorf. In der Regel grüßen wir freundlich und gehen aneinander vorbei. Wie immer, rufe ich unseren wohlerzogenen Vierbeiner an meine Seite, doch der Herr winkt ab und lächelt mir gelassen zu. “Der macht ja nix. Des isch en Guder…”, womit er mir zu verstehen gibt, dass sich seine Unsicherheit unserem weißen Wolf gegenüber in Grenzen hält. Wie wohltuend. Als wir auf gleicher Höhe sind – er pausiert gerade auf einer Bank am Wegesrand – kommen wir ins Gespräch. “Gell, sie sind die Frau Saler?”, fragt er mich wissend, und ich nicke und lache und gestehe, dass mir sein Name leider nicht geläufig ist. “Sambaß. Ich bin der Ernst Sambaß”, werde ich aufgeklärt, “Und ich bin 92 Jahre alt.” Ich erinnere mich, wie er früher immer mit Oma Paulines Schwager Franz gemeinsam unterwegs war. Schöne Erinnerungen seien das gewesen, so oft seien sie miteinander gewandert, aber der Franz, der sei jetzt dement. Alles vergessen…. Ich spanne den Bogen und bedanke mich bei ihm – quasi stellvertretend – für die Offenheit und herzliche Anteilnahme seiner Generation, die mir unvergessen bleibt. “Ihr habt es uns vor 25 Jahren leicht gemacht, hier wirklich eine Heimat zu finden,” erzähle ich ihm. Und er antwortet: “Wissen Sie, jeder ist mal angekommen. Ich war als junger Mann im Krieg. In Russland. Und in russischer Gefangenschaft. Meine Zehen sind mir abgefroren… Da ist man sehr dankbar, wenn man heimkommen darf…”. Mich berührt, was er zu sagen hat, und ich bitte ihn ein Foto von ihm machen zu dürfen. Mit dem Handy. Er habe kein Handy mehr, erzählt er. Und auch keinen Pieper am Handgelenk für etwaige Notfälle. “Wenn ich jetzt fallen soll, dann ist es halt so. Ich hab ein langes Leben gehabt. Mehr Tiefen, als Höhen. Aber heute bin ich wunschlos glücklich”. Ben wird unruhig und fordert mich unmissverständlich auf endlich weiterzulaufen. “Ich muss…”, signalisiere ich dem alten Herrn. Er nickt verständnisvoll und will sich seinerseits langsam auf den Heimweg machen. “Frohe Weihnachten und ein gutes, neues Jahr”, wünschen wir uns. Jetzt schon mal. Falls wir uns nicht mehr sehen. Und dann geht wieder jeder seiner Wege…

 

 

 

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