Meinerseits

Solidarität und die Flucht nach vorn

Nähe, Anteilnahme, finanzielle Unterstützung und Perspektiven tun Not. Für zahllose Menschen jedweden Alters und in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Es brennt an allen Ecken und Enden. Doch echtes Mitfühlen ist unmöglich, wenn wir nicht wirklich voneinander wissen und Mitmenschen lediglich unter plakativen Oberbegriffen vorsortieren: Risikogruppe, Soloselbstständige, Freiberufler, Künstler, Pflegepersonal, Gastronomen, Alleinerziehende, Hartz 4 Bezieher … Die Begriffe an sich machen nichts mit uns, solange sie nicht an fühlbare Lebensgeschichten geknüpft sind. Ich bin eine, die sich vor Corona als Freie Autorin, Rednerin, Künstlerin durchaus ernähren konnte und mit wachsender Vorfreude auf all die Buchungen des Jahres 2020 blickte. Bis Mitte März eine Pandemie unsere Welt veränderte. Tatsächlich war es Mut der Verzweiflung, der mich Ende 2020 mit einer Bitte um private, solidarische Unterstützung in sozialen Medien zur Flucht nach vorne trieb. Längst weiß ich: Der Schritt, den ich getan habe, ging in die richtige Richtung. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Erstens folgte direkt eine Welle der Hilfsbereitschaft, zweitens teilten mir dadurch zahllose Menschen ihre eigene Lebenssituation mit, wodurch auch ich die Chance bekam Anteil zu nehmen, drittens brachte uns […]

Meinerseits

Worte können gewaltig sein

“Und wenn dir ein Wort auf der Zunge brennt, lass es brennen!”, pflegte Enzos Großmutter immer zu sagen. Ich für meinen Teil hab’ mir schon öfter  die Zunge verbrannt. Allerdings eher, weil mir unbedachte Worte aus dem Mund purzelten, die eindeutig weniger schmerzvoll gebrannt hätten, wenn ich sie für mich behalten hätte. Immerhin: mit zunehmender Altersweisheit hab’ ich tatsächlich erfasst, was hinter Oma Albertines Sinnspruch steckt. “Erstmal runterpegeln bevor du den Mund aufmachst”, hätte sie ebenso gut sagen können. “Kühlen Kopf bewahren”, “sich besinnen”, “nochmal drüber schlafen”, “vor Betätigung des Mundwerks Gehirn einschalten” meint alles das Gleiche. Schließlich sind Worte unsere Ausdrucksmittel für Gefühle, Meinungen, Erfahrungen, Ansichtssachen. Und weil sie von einem Menschen ausgesprochen werden, formulieren sie eben nicht selten die sehr persönliche Sichtweise dieses einen Menschen. Die dann schon mal am verständnisfördernden Konsens vorbeischießen und eher zu Verwirrung und Verletzung, als zu Klärung und Verbundenheit führen kann. Soviel zum gesprochenen Wort und zum althergebrachten, analogen Wortwechsel. In unserer digitalen Welt, von der Oma Albertine noch nicht einmal träumen konnte, da brennen Worte weitaus öfter […]