Dorfleben mit guten Geistern

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Daheim in Eußerthal, wo um 11 Uhr mittags das Elfeglöckl läutet (Brauch aus der Zeit, als die Leute noch im Wald arbeiteten und keine Handys hatten), abends um 6 Uhr die Kirche zum Feierabend ruft, auf dem Dorfplatz die Kinder unbehelligt Rad fahren und Ball spielen, wo im Sommer die Kreissägen kreischen, damit im Winter „alle warm haben“ und der einzige Hahn im Ort am allerliebsten spätnachmittags kräht – da atme ich durch und komme zur Ruhe, obwohl es nicht immer ruhig ist.

Eingebettet…so sieht Heimat für mich aus.

Auf dem Land ticken die Uhren anders, als in der Stadt. Doch auch hier bleibt nicht alles beim alten – Veränderungen geschehen meist nur langsamer und lautloser.
Als Enzo, ich und unsere damals 1-jährige Tochter Marie uns vor 26 Jahren von Baden-Baden aus aufmachten die Welt zu entdecken, ursprünglich Nicaragua als Ziel anvisiert hatten und dann immerhin bis in die Südpfalz kamen, haben die Dörfler uns das Ankommen leicht gemacht. Wir selbst allerdings keineswegs. Denn unser erstes Häuschen, das wir damals für knapp 20.000 Mark erwerben konnten, war eine absolute Ruine. Mit marodem Dach. Aber immerhin.
Der tatendrängende Held an meiner Seite wollte am liebsten sofort loslegen mit den elemantarsten Renovierungsarbeiten, schließlich war es November, als wir den Schlüssel zum Haus in Händen hielten. Weil dieses Gemäuer allerdings 15 Jahre leergestanden hatte, bevor wir es wiederbelebten, war natürlich mit Strom und so auch nix drin. Willi, unser Nachbar von gegenüber, muss uns wohl beobachtet haben, wie wir mit der neu gekauften Bohrmaschine ziemlich ratlos, da stromlos, vor unserem Häuschen standen und servierte uns prompt seinen Plan: „Ich steig jetzt nuff uff de Speicher und schmeiß euch ä Verlängerungskabel riwwer…“. Fünf Minuten später waren wir energietechnisch grundversorgt.
Innerhalb kürzester Zeit fand ich Arbeit bei einer Werbeagentur in Burrweiler, Marie bekam einen Kindergartenplatz im Dorfkindergarten und Enzo gab alles, um aus der Ruine ein behagliches Zuhause für uns zu schaffen. Ein weiterer Mitmensch in unserer engen Straße, der das Salersche Tun stets mit aufmerksamer Anteilnahme betrachtete, war Oma Lisbeth. Nicht selten hatte sie „zufällig“ deutlich mehr „Grumbeersupp“ gekocht, als sie selbst gebraucht hätte. Und „Dampfnudle“ war’n, wenn, dann auch immer reichlich übrig. „Frau Saler“, rief sie mich mit ihrer heiseren Stimme, wenn sie mich auf der Straße mein Auto parken sah, „Kummen se mol her. Ich häb noch was iwwerich…“. Wundervoll.
Gestern, beim Hundespaziergang, bin ich mal wieder „in de Brätbach“ vorbeigelaufen. Vor zwei Jahren ist Oma Lisbeth mit weit über neunzig Jahren gestorben. Ihr einfaches, offenes, helles, freundliches Haus in der engen Gasse, dass sie mit ihrem Mann Fritz zusammen gebaut hatte, in dem zwei Söhne geboren wurden, jede Menge Enkel und Urenkel ein- und ausgingen, in dem immer Leben war, ist verkauft worden. Als Ferienhaus. Für Städter. Die keiner kennt. Das Dach ist neu gemacht und das niedrige, durchschaubare Hoftörle, auf dem ich mich so gern zum Plaudern aufgelehnt hab’, wenn Oma Lisbeth uffm Bänkel saß und Bohnen aus ihrem Garten schnippelte, ist durch ein zwei Meter hohes, komplett dichtes Edelstahlriesentor ersetzt worden. Elektronisch gesteuert, nehme ich mal an.
Ein Anblick, der mich an diesem Ort besonders betroffen macht, weil er sich mit Erlebtem nur schwer in Einklang bringen lässt. So werden all die Bilder wieder wach in mir, von Menschen, die an lauen Sommerabenden bei Oma Lisbeth im Hof beieinander saßen. Manchmal haben sie zusammen gesungen, oft miteinander gelacht, der Jean Müller brachte was vom selbstangesetzten Walnusslikör mit, und sie erinnerten sich an winterliche Abenteuer auf riesigen Holzschlitten, an den ersten Fernseher in der Straße bei Willi und Pauline und wie sie da abends gemeinsam gelauscht und gestaunt haben, ans „Hellbeeresammle“ und Heumachen und wie es war, als die Männer aus dem Krieg heimkehrten.
Auf einmal sitze ich wieder mitten unter ihnen, rieche, höre, sehe und atme den Geist der vergangenen Zeit. Einen, der von Einfachheit und Überschaubarkeit geprägt war und sich durch starken Zusammenhalt auszeichnete. Und dann durchströmt mich eine wohlige Welle tiefer Dankbarkeit für das „Hier-Ankommen-dürfen“. Dafür, dass dieses kleine Dorf im Pfälzer Wald nicht zuletzt seiner guten Geister wegen zu unserer neuen Heimat geworden ist….

3 Kommentare

  1. Wundervoll diese kleine Geschichte.
    Ja, leider ist das Hoftor hoch und Blockschrift. Habe ich gerade gestern bei meinen Nachbarinnen bedauert.
    Nochmal danke für die schöne Geschichte

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