Deinerseits

Jeder ist mal angekommen…

Vorhin, beim Spaziergang mit Ben, dem Hund, bin ich diesem Herrn begegnet. Nicht zum ersten Mal, denn wir leben im gleichen Dorf. In der Regel grüßen wir freundlich und gehen aneinander vorbei. Wie immer, rufe ich unseren wohlerzogenen Vierbeiner an meine Seite, doch der Herr winkt ab und lächelt mir gelassen zu. “Der macht ja nix. Des isch en Guder…”, womit er mir zu verstehen gibt, dass sich seine Unsicherheit unserem weißen Wolf gegenüber in Grenzen hält. Wie wohltuend. Als wir auf gleicher Höhe sind – er pausiert gerade auf einer Bank am Wegesrand – kommen wir ins Gespräch. “Gell, sie sind die Frau Saler?”, fragt er mich wissend, und ich nicke und lache und gestehe, dass mir sein Name leider nicht geläufig ist. “Sambaß. Ich bin der Ernst Sambaß”, werde ich aufgeklärt, “Und ich bin 92 Jahre alt.” Ich erinnere mich, wie er früher immer mit Oma Paulines Schwager Franz gemeinsam unterwegs war. Schöne Erinnerungen seien das gewesen, so oft seien sie miteinander gewandert, aber der Franz, der sei jetzt dement. Alles vergessen…. Ich […]

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Wo “Brot und Spiele” sich begegnen

Neustadt, Hambach, Weinstraße 279, in scharfer Kurve: ein kleines Theater mit dem wegweisenden Namen  “Theater in der Kurve”. Dessen Leiterin, Hedda Brockmeyer, und das ambitionierte Theaterprogramm, locken mich, drum geh’ ich hin und auf sie zu, erzähle von meinem Blog und den Portraits über Menschen, die ihr Glück in die Hand nehmen, und frage, wie das denn bei ihr so gelaufen sei. “Kurvenreich!”, strahlt sie mich an und lässt sich – trotz des übervollen Terminkalenders – auf das Stillen meiner Neugier ein. Ein Totem zur Erinnerung Wenn’s um Bühne und Theater geht, schreckt Hedda grundsätzlich vor nichts zurück. Weshalb sie mich zuallererst mit “Henny” bekanntmacht. Einem präparierten Pferdeschädel, den sie selbst beim Metzger holt und drei Tage in der Garage auskocht, weil er für das Stück “Armut, Reichtum, Mensch und Tier” als Requisite gebraucht wird. “Henny ist sowas wie ein Totem für mich geworden,” erklärt sie, während ihre Finger zärtlich über die skelettierte Nase streicheln. “Er ist einer, der mich erinnert. An Vergänglichkeit und an vergangene Verletzungen.” Sie habe gelernt damit umzugehen. Das alte, wie […]

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Aus dem Schatten ans Licht

Sie ist eine Waage-Geborene, Jahrgang 1964. Cordula Segadlo strahlt Positives aus, wirkt herzlich und einladend. Wer ihr heute begegnet, glaubt kaum, wie sehr auch sie in ihrem Leben aus der Balance geriet. Über viele Jahre habe sie in erster Linie reagiert und funktioniert, erzählt die sympathische Karlsruherin, die sich mit dem Cottage Baden-Baden in der Steinstraße einen Herzenswunsch erfüllte. “Hier kann ich sein, die ich bin und Suchenden helfen, bei sich selbst anzukommen.” Ich will wissen, wer sie ist, sie näher kennenlernen. Schon allein, weil ihr Lachen mich so derart inspiriert. “Meine Mutter hat immer gesagt “Lach nicht so blöd!”,” erzählt sie. Zum Glück hat sie sich’s nicht ausreden lassen. Im Gegenteil: wie befreiend das Lachen auf unseren Geist und unseren Körper wirkt, das erlebt und vermittelt Cordula Segadlo heute nicht zuletzt durch ihre Lach-Yoga Kurse, zu denen man sich im Cottage regelmäßig einfindet. Lach-Yoga Vertreter weltweit sind überzeugt: “Wenn du lachst, veränderst du dich, und wenn du dich veränderst, wird sich die ganze Welt um dich herum verändern.” Zweifellos wirkt Lachen ansteckend, es aber […]

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Mensch und Musikerin Marla Glen: Laute und leise Töne

An einem eisigen Januartag 2010 schneit uns überraschender Besuch ins Haus: Vor der Tür steht ein befreundeter Fotograf aus Baden-Baden und mit ihm die Musikerin Marla Glen, nebst Pudeldame Buffy. Ihr erster Auftritt bei uns kommt einem Wintersturm gleich, der in Sekundenschnelle die Landschaft verwandelt. Auf einen Schlag ist unser Wohnzimmer erfüllt von lautem Gelächter und diesem typischen Marla-aus-Chicago-Slang: “Hey Man, do you have a Beer?”, eine Frage, die Enzo verneinen muss und auf Wein steht sie nicht so. Also Tee. Is ja auch kalt draußen. Und heiße Hühnersuppe, die grad auf dem Herd steht. Die drei sind auf der Durchreise, irgendwelche Promotermine irgendwo, und machen eine Stunde Station bei uns, ehe sie sich auf den Heimweg begeben. Kaum sind sie wieder weg, reiben wir uns ungläubig die Augen, ob dieser Erscheinung. Amüsant, raumfüllend, aber irgendwie anstrengend…. Einmal Taxi zum Bahnhof… Monate später bin ich in der kleinen Weltstadt an der Oos gerade als Taxifahrerin unterwegs, als mich ein Auftrag ereilt: Glen, Sophienstraße. Einmal zum Bahnhof. Bin noch völlig assoziationsfrei, bis sie neben mir sitzt. […]

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Barrierefreiheit beginnt im Kopf

Seit rund zwei Monaten darf ich eine junge Frau kennenlernen, die mir dankenswerterweise die Tür zu ihrer Welt geöffnet hat: Nina Dhom. Als wir uns das erste Mal begegnen ist ihre Behinderung offensichtlich, aber kein Hinderungsgrund uns näherzukommen. Sprechen geht leider nicht, Zeichen geben durchaus. Wir blinzeln uns zu. Sie lacht. Fährt mit dem Rolli voraus in ihr Zimmer. Gibt mir mit einem Kopfnicken die Richtung vor und ich folge. Sie steuert ihren CD-Player an und spielt mir ihre Lieblingsmusik vor: Songs von “De Anonyme Giddarischde”, einer Pfälzer Kultband. Die liebt sie am meisten und ich erlebe, wie sie sich in ihrem Rollstuhl hin- und herwiegt und an ihren Lippen kann ich lesen, dass sie die Texte auswendig kennt. Nina zeigt mir einen Film, gedreht bei einem Wochenende mit der Behindertenseelsorge Speyer 2015: “Come together – Die wichtigen Dinge im Leben” und ich bin beeindruckt von der starken Botschaft und diesem sonnigen, lebensbejahenden Wesen neben mir. Ich schau mich um. Entdecke Bücher, Kuscheltiere und ein Himmelbett umrahmt von einer riesigen Fototapete mit schwimmenden Delfinen. Sie […]

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Durch die Augen des anderen…

Eigentlich hatte ich ihr ja ein neues Stück mit dem Titel “Milch und Honig” gewünscht, das allerdings hätte ich erst schreiben müssen und dazu kam ich nicht. Deshalb: die Schauspielerin Crescentia Dünßer nun nach “Zorn” ab dem 25. November 2016 in “Gift” auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz in Baden-Baden . So schwerverdaulich der Titel klingen mag, die Probenarbeit sei von “wohltuender Leichtigkeit” geprägt gewesen. Ihr Bühnenpartner ist Sebastian Mirow und – wie bei “Zorn” – führt Otto Kukla Regie. “Das Miteinander fühlt sich frei und gut an”, erzählt Crescentia. “Wir wachsen an Herausforderungen.” Seit über 30 Jahren sind Otto und sie ein symbiotisches Arbeitspaar. Lange waren sie es auch im privaten Leben, bis sie “im Wir irgendwo verschwanden und sich selbst nicht mehr spürten”. “Gift” ist übrigens eine Ehegeschichte. Eine Wiederbegegnung nach neun Jahren. Damals ist „Sie“ einfach gegangen, in ein anderes Land, in der Silvesternacht. „Er“ hatte über die Jahre zwar noch losen Kontakt zu ihrer Mutter, aber das Entscheidende hat diese ihm verschwiegen: dass “Sie” in einer neuen Beziehung lebt. Der Friedhof, […]

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Frauenpower macht Mut zur Offenheit

Sie fällt mir beim sozialen Netzwerken auf. Ich stelle eine Freundschaftsanfrage, Caroline Régnard-Mayer nimmt sie an. Ich weiß, dass sie MS hat, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist und Bücher schreibt. Auf Fotos strahlt sie Zuversicht aus, sie lacht gern – allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz. Woraus schöpft sie Kraft, was macht ihr Mut und was bedeutet Glück für sie? Letzte Woche sind wir uns in Landau zum ersten Mal persönlich begegnet. „Ich hab’ dir eins meiner Bücher mitgebracht“, lacht sie.  Titel: „Frauenpower trotz MS“. Multiple Sklerose – die Krankheit mit den 1000 Gesichtern. Caro, Jahrgang 1965, erhält die niederschmetternde Diagnose im Februar 2004. Zuerst zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Scheidung ist gerade über die Bühne, eben denkt sie noch, sie hat ihr neues Leben mit den Kindern im Griff und dann das. Sie funktioniert mechanisch. Fühlt sich gelähmt, am Leben gehindert. Wochen vergehen, ehe sie sich wieder traut mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Dann fängt sie an, sich zu informieren, zu […]

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Tschussowaja und das Kind im Mann

Der gebürtige Bayer Klaus Burger lebt seit vielen Jahren in Baden-Baden und ist bekannt als einer der führenden Tubisten weltweit. Als freischaffender Musiker ist er ein gefragter Solist bei den renommiertesten Ensembles der zeitgenössischen Musikszene, er schreibt Filmmusik, Hörspielmusik und Theatermusik und komponiert für Konzerte und Improvisationsprojekte. Vor ein paar Wochen sind wir uns wiedermal begegnet, der Klaus Burger und ich. Dabei hab’ ich ihm von dem Songtext erzählt, den ich geschrieben hab’, er hat ihn interessiert gelesen und erste Probeaufnahmen mit Maik Styrnol gehört. „Des gfallt mir“, hat er gesagt und „Da bist in guten Händen“. Dann hat er mir von seinem aktuellen Baby erzählt: Die „Tschussowaja-Suite“. „Wennst Zeit hast, kommst vorbei.“ Heute nehm’ ich mir die Zeit, mich auf’s Hören ganz und gar einzulassen. Spontan. Den Klaus freut’s und mich auch. Sein Ofen ist aus, meine Füße sind kalt, er richtet drei Kissen, auf denen ich mich im ungeübten Schneidersitz niederlasse und er klickt die Play-Taste auf dem Laptop. Ich wickle mich in meinen Mantel, schließe die Augen und bin ganz Ohr. Es […]

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Einer, der sich die Welt erliest…

Mittlerweile ist er über zwanzig Jahre im Beruf, lebt die 70 Stunden Woche der engagierten Selbständigen und kennt maximal drei Wochen Urlaub im Jahr. Doch Josua Straß kann sich nichts Erfüllenderes vorstellen, als genau das zu tun, was er tut. Deshalb bitte ich ihn um ein Interview für „Glück und so“. Andererseits gleicht sein Leben dem eines Seiltänzers ohne Netz und doppelten Boden. Die Konkurrenz durch Internetversandhandel und lautstark werbende Buchhandlungsketten sorgt für wachsenden Existenzdruck und kaum ein Tag vergeht ohne das Stoßgebet „Möge uns die Buchpreisbindung erhalten bleiben!“ Dennoch hat sich Josua Straß nach dem Tod von Marianne Wasserburger im Sommer 2015 dafür entschieden, zusätzlich zu seinem Baden-Badener Geschäft am Jesuitenplatz ihre Kinder- und Jugendbuchhandlung „Mäx und Moritz“ in der Sophienstraße zu übernehmen. „Ich konnte nicht zusehen, wie das Lebenswerk von Marianne Wasserburger vor die Hunde geht und fachkundige Mitarbeiter ohne Zukunftsperspektiven arbeitslos auf der Straße stehen!“ Mit der Übernahme von „Mäx und Moritz“ hat sich der 43-jährige Straß auf einen zusätzlichen Drahtseilakt eingelassen. „Es gibt im Leben Entscheidungen von denen du weißt, dass […]

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Wer fremdelt, sucht andere Orte

Menschen, die willkommen heißen, die keine Unterschiede machen zwischen Gästen, die offensichtlich gut betucht sind oder solchen, die ebenso offensichtlich wenig besitzen, die schätze ich besonders. So ein Mensch ist Rita. Seit 13 Jahren läuft die Pizzeria Monte Rosa in Baden-Baden als Familienunternehmen unter ihrer Leitung. Werbung tut schon lange nicht mehr not, denn der Laden ist regelmäßig rappelvoll. Das Leben hat ihr Schicksalsschläge nicht erspart, doch das Leuchten in ihren Augen, das Strahlen in ihrem Gesicht, ihre Freude daran, Gästen jedweder Couleur einen rundum angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen, hat sie nie verloren. Nirgendwo sonst in dieser kleinen Weltstadt an der Oos sind mir bisher soviele unterschiedliche Menschen auf engstem Raum begegnet wie hier. Wer fremdelt, sucht andere Orte. Bei Rita kommt man sich näher. Wenn ich in Baden-Baden bin, ist ein Besuch bei ihr immer ein bißchen wie heimkommen. Und das geht nicht nur mir so. Rita umarmt, nimmt an, interessiert sich für das, was passiert im Leben ihrer Gäste. Mich interessiert ihr Leben, das selten so ganz und gar privat ist. Eine Weile […]