Deinerseits

Mehr als Essen und Arzt …

Das Wunder der Bärenbande bringt eine Menge wundervoller Geschichten ans Licht. So auch diese, die mir meine liebe Freundin Alix nach einer Lesung in Landau schickte: “Nach Deinen Ausführungen hab ich da vielleicht was richtig gemacht, als ich diesen kleinen und völlig vernachlässigten, ja ausdrücklich ungeliebten Jungen in Peru kennenlernte. Und dann überlegte, dass er doch mehr braucht außer Essen und Arzt… So wurde dieser Bär sein erstes Geschenk und Spielzeug. Was hat er ihn beschmust und mit sich rumgeschleppt! Leider nahm ihm seine Oma schon bald den Bären ab. Er würde das kostbare Stück doch nur verschmutzen, erklärte sie resolut und so bekam der Bär namens Oso einen Platz auf Omas Regal. Vielleicht sah sie ihren Enkel durch diese Teddyliebe aber auch auf einmal mit anderen Augen, denn: Sie nahm ihn schließlich zu sich, er wurde angemeldet und bekam dadurch Zugang zu Krankenversorgung und Schule ….” Foto: A. Oehlert

Deinerseits

Die Magie des Augenblicks

Manchmal schlendere ich einfach durch die Welt und entdecke. Neulich abends bleibe ich derart tiefenentspannt vor dem Schaufenster einer Nähschule in Baden-Badens Tausend-Seelen-Gasse, der Stephanienstraße, stehen. Zwischen kunstvollen Stickereien sitzen da – völlig überraschend – kleine Teddybären, die meinen Blick auf sich ziehen. Der Laden, der zum Schaufenster gehört, strahlt hell erleuchtet, eine dunkelhaarige Dame sitzt an einem Tisch, fädelt glitzernde Kristalle auf und blickt mich über ihren Brillenrand freundlich an. Ich nicke lächelnd zurück und sie winkt mich herein … So lerne ich Tatjana Golder kennen. Sie stammt aus Jekaterinburg, ist Wahl-Baden-Badenerin, Textilkünstlerin und ein wahrer Wirbelwind. Tatjana zaubert mit Nadel und Faden. Und weil sie das – nachweislich und preisgekrönt – fabelhaft kann, gibt sie ihr Wissen mittlerweile liebend gern weiter. Sie ist eine gebildete Frau. Eine, die den Dingen gern auf den Grund geht und sich ihr eigenes Bild von der Welt macht. Und genau das setzt sie in fantastische Stickereien um. Beinahe dreidimensional tauchen Greifvogel, Pegasus und Einhorn aus ihrem feinstofflichen Untergrund auf. Magisch zieht mich eine ihrer kunstvollen Taschen an, auf der […]

Andererseits

1968 – Als der Planet Feuer fing

„Wo waren sie denn 1968?“, fragt mich mein Premieren-Sitznachbar im Karlsruher Sandkorn Theater. „Im zarten Alter von fünf mit meiner Familie in Bayern. Ich musste noch nicht in die Schule und hatte eine wundervolle Zeit“, gebe ich ihm wahrheitsgemäß zur Antwort. Er lacht. „Ich war schon Messdiener. Also auch nicht an vorderster Front.“ Rainer schon. Also Onkel Rainer. So nannten ihn alle. Nicht nur Neffe Rudi (Erik Rastetter) und Nichte Uschi (Silvie Fazlija), sondern auch seine alten Freunde Willy (Horst Maria Merz), Heinrich (Martin Wacker) und Gudrun (Patricia Keßler). Was den Onkel 1968 wirklich umtrieb, erfahren sie in der “Musikalisch-Szenischen Entrümpelung” von Günter Knappe und Erik Rastetter, erst aus seinem Tagebuch. Nach seinem Ableben. Beinah entpuppt sich Onkel Rainer als wildentschlossener Frontliner, auf alle Fälle aber als Augenzeuge eines legendären Jahres: “1968 – Als der Planet Feuer fing”. Im Nachklang beinah unfassbar, wer und was sich in jenen 12 Monaten bewegte. Schlagworte wie Vietnam, Rudi Dutschke, Prager Frühling, Notstandsgesetze, Studentenrevolte, APO, Flower Power werden mit Geschichten und Videorückblicken erfüllt. Gewalt und Unverständnis einerseits, wachsendes Wir-Gefühl und euphorische Glücksgefühle […]

Ansichtssache

Was bleibt ist Geschichte und …

An der Bad Dürkheimer Stadtmauer sind die Befestigungslöcher heute noch zu sehen. Also die, an denen Enzo, mein Liebster, als 12jähriger Junge mit seinem Jugendclub, frei nach der Frühsechziger-Jugendkultserie Der Kummerkasten, aus eigener Initiative einen solchen Kasten installierte und schwarz-weiß Fernsehen in die pfälzische Wirklichkeit holte. Onkel Karl hat ihn gezimmert und Enzos Oma Albertine überwachte die ordnungsgemäße Umsetzung des durchaus lobenswerten Buben-Plans. Nachbarschaftshilfe sollte das Motto sein. Wie im Fernsehen. Oma Albertine schickte ihn auf’s Stadthaus. Um Erlaubnis bitten, den Kasten überhaupt an der Stadtmauer anbringen zu dürfen. Danach hieß es: „Geh zur Rheinpfalz und zum Helmut Metzger. Der schreibt. Sagsch, was du willschd!“ Ratzfatz war die Sache geritzt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer und der Kasten wollte täglich geleert werden. Fünf Jungs hatten alle Hände voll zu tun. Einkaufen, Streichen, Anmachholzhacken, Zeitung vorlesen …. War gut was geboten. Bis … die Peters Heidi ins Spiel kam. Aus der Limburgstraße ganz oben. Enzo, zum ersten Mal total verliebt, lud sie ein, als einziges Mädchen in den Club. Hormonell bedingt ging die Kombi nicht wirklich […]

Deinerseits

Liebst du, was du tust?

Menschen, die ich portraitiere, sagen von sich: “Ich liebe, was ich tue!” Was natürlich nicht heißt, dass das in ihren Leben immer so war und immer so ist oder immer auf alles, was sie so tun müssen, zutrifft. Genau das allerdings, macht ihre Lebensgeschichten so erzählenswert. Just for fun hab’ ich neulich einfach mal die gängigste Suchmaschine bemüht und die Frage eingegeben: “Liebst du, was du tust?” Der erste, der sich meldete, war Konfuzius. Nicht persönlich natürlich. Angeblich soll er vor rund 2500 Jahren bereits erkannt haben: “Wenn du liebst, was du tust, wirst du nie mehr in deinem Leben arbeiten.” Diese bahnbrechende Erkenntnis hat es zwar bis ins neuzeitliche Internet geschafft, hinkt in der Umsetzung allerdings nach wie vor dramatisch hinterher. Wer – außer wildentschlossen, selbstständige Freiberufler, die dafür eine Menge Hürden in Kauf nehmen, oder jene, die es gegebenenfalls mühsam in die oberen Etagen geschafft haben und dafür betriebsverordnete Achtsamkeitstrainings absolvieren dürfen, somit also: Wer, der von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln muss, wer, der am Fließband eines Riesenunternehmens ein ungefragtes, austauschbares Schräubchen […]

Andererseits

Lebensmittelretter und Umverteiler

Eine herzliebe Freundin erzählt mir, dass sie neulich zum ersten Mal in ihrem Leben bei der Tafel war. Sie habe lange gezögert, dann hätte sie es doch gewagt. Mit Hartz IV Berechtigungsschein und Tarnkappe. In der Hoffnung, niemandem zu begegnen, der sie kennt. Frische Orangen lachten sie an und sie habe sich fünf gewünscht. “Geht leider nicht”, bekam sie zur Antwort. “Für ihren Zwei-Personen-Haushalt sind nur zwei Orangen pro Woche vorgesehen.” Kurze Pause. “Ach sagen Sie mal, sind sie nicht die Frau…???” “Nein!”, antwortet sie hastig, packt zusammen, was sie bekommen kann und schleicht im Dunkel beschämt nach Haus. Grundsätzlich sind Tafeln eine wirklich gute Sache. In Deutschland werden täglich etliche Tonnen Lebensmittel vernichtet, obwohl sie noch verzehrfähig sind. Gleichzeitig herrscht bei immer mehr Menschen Mangel. Mittlerweile 900 gemeinnützige Tafeln sind seit 25 Jahren bundesweit aktiv, somit nahezu flächendeckend verbreitet, und schaffen einen Ausgleich: Sie sammeln überschüssige, qualitativ einwandfreie Lebensmittel und verteilen diese an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte. Womit man “als Benachteiligter” allerdings umgehen können muss, ist einerseits der enorme Andrang und die damit verbundene Nahrungsverteilung mittels Losverfahren, […]